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BAD |
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EMDER
ZEITUNG - 1988 |
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haben sie nicht schon alles über ihn geschrieben: Er hat einen
Altar für Liz Taylor in seiner 40-Zimmer-Luxusvilla in Kalifornien,
sein Schimpanse Bubbles läuft am liebsten in Designerklamotten
rund ums Sauerstoffzelt, seine neurotische Angst vor Bakterien
und Viren lässt ihn nur mit Mundschutz leben. Er unterzog
sich drei Schönheitsoperationen um nicht mehr der "Bad" Black-Boy
zu sein . . .
Die 70.000, die
sich mit Feldstechern, Klappstühlen und Kühlboxen auf den
Weg ins Müngersdorfer Stadion in Köln, der dritten Station
der Stippvisite in der Bundesrepublik, gemacht haben, interessiert
das alles herzlich wenig: Michael Jackson live, ob er nun
in Wirklichkeit seine Schwester ist oder nicht. Er wird da
sein. Fleischgeworden.
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"Das
Schlimmste was uns passieren kann, ist natürlich eine Panik,
aber das hängt auch sehr von Jackson ab," urteilt Eckhardt Otte
(25) Juniorchef des Wachdiensts, der seine 40 Leute bei den
Personen- und Einlasskontrollen im Einsatz hat, mit Blick auf
die anbrandende Menge. Nein, mit randalierenden alkoholisierten
Fans sei nicht so sehr zu rechnen, aber: "Video und Super-Acht-Kameras,
da haben wir ein Augen drauf." Der Himmel über dem mit Holzbohlen
und einer Plastikfolie geschützten Rasen der FC Köln-Kicker
ist bedeckt, an die 20 Grad Außentemperatur, und im Innenraum
wie auf den Rängen ist drei Stunden vor dem Set noch nicht mehr
als die Hälfte der Plätze besetzt.
Als der schwarzgelockte
Äthiopier Ezana (16), Gymnasiast aus Köln, im mit Pailletten
besetzten schwarzen Anzug, die staksigen Beine in weißen Socken,
die Augen hinter der dunklen Sonnenbrille versteckt, sich der
heißen Zone direkt vor der Bühne nähert, blicken die Teenies
einen Moment lang irritiert. "Natürlich ist das auch ein Abglanz
von Michael, der auf mich fällt", grinst das Double, "ich finde
aber, das Wichtigste ist seine Musik". Und dann meint er noch,
während "Bodyguard" Amir prüfende Blicke auf die Teenies wirft
: "Wenn er allerdings wirklich versuchen würde, wie ein Weißer
zu sein, wäre das ein Verrat."
Die zwei tauchen
unter im Gewühl Front-Stage, wo die Ordner schon alle Hände
voll zu tun haben. Reihenweise fallen die Fans, Durchschnittsalter
um die 16, in Ohnmacht. "Der Druck, als wir heute hier anfingen,
war so stark, das wir fast selbst zerquetscht worden wären",
brüllt einer der 200 Securities unmittelbar vor der Bühne dem
Reporter nur noch entgegen. |
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"Gefühl,
zu sterben" |
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"Das ist unmenschlich,
du hat das Gefühl, jeden Moment zu sterben. Die Mädchen liegen
am Boden, ohnmächtig, ich habe versucht, zusammen mit meinen
Freunden so gut es geht zu helfen, und dann habe ich es selbst
nicht mehr geschafft". Simah, 22 Jahre alter Dekorateur aus
Düsseldorf, verlässt gerade wieder den schmalen Durchlass
an der Bühnenseite, Ausgang für die von den Ordnern mit festem
Griff aus dem Gewühl auf die Bühne gefischten Fans. Er ist
seit dem frühen Morgen in Köln, um sich auf dem Schwarzmarkt
eine Karte für den Innenraum zu sichern. "Ich habe 80 Mark
für die 50 Mark-Karte bezahlt, aber das Konzert gucke ich
mir jetzt aus irgendeiner Ecke an".
Es ist 19 Uhr,
und auf den Rängen läuft die seit der Fußball-WM in Mexiko
bekannte "La Ola". Für die hartgesottenen Jackson-Fans ein
faszinierendes Spektakel aus einer anderen Welt, das begeistert
beklatscht wird. "Wir haben früher doch auch unsere Stars
gehabt", meint derweil Hedwig Becker grinsend. Die 61-Jährige
aus Kleve steht in respektvollem Abstand zur Kreislauf- und
Ohnmachts-Front. Prince, Rolling Stones, Tina Turner und jetzt
Michael Jackson: "Meine Freundinnen beneiden mich, dass ich
dazu den Mut habe", erklärt sie selbstbewusst. Ich finde das
ganze drumherum bei Jackson gut. Aber ich glaube, er ist irgendwie
ein Mensch, der Angst hat erwachsen zu werden. Er wirkt auf
mich wie ein ewig Pubertierender."
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Master
of Ceremonies |
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Noch eine Stunde,
bis der 29-Jährige Jackson auch für Oma Hedwig singen wird,
da kommt Bewegung in die Fans direkt vor der Bühne. "Jacko"-Manager
Frank M. Dileo, die gewohnte Havanna im Mund, die langen Haare
zum modischen Zopf zurückgebunden, begrüßt huldvoll die Wartenden.
Master of Ceremonies! "La Ola" rollt weiter über die Ränge,
und vor der Bühne nimmt die allgemeine Temperatur durch die
Enge allmählich tropische Ausmaße an.
15 Minuten später
klettern die Beleuchter und Tontechniker auf den 20 Meter
hohen Turm im Innenraum mit Sound-Mischpult und den fünf zusätzlichen
Verfolger-Lichtkanonen. An der Vorderseite des Towers hängt
ein Transparent. In großen schwarzen Lettern: "Köln". Damit
Raumfahrer Jackson weiß, wo er gerade gelandet ist.
"Michael Jackson
ist das Perfekteste, was die Konsumgesellschaft bisher hervorgebracht
hat, und genau diese Perfektion will ich sehen", konstatiert
cool Raffael, 16-Jähriger Herausgeber eines kleinen Szene-Magazins
aus Moers. Was er meint, wird nach dem pflichtschuldig vorgetragenen
Vorprogramm von Frau Kim Wilde deutlich: Das Jackson-Roadie-Team
baut um. In knapp 25 Minuten. Da sitzt jeder Handgriff. Man
sollte es aber eher eine Bühneneinrichtung nennen: Angefangen
von der fahrbaren Kamera, die den Auftritt auf die drei Video-Großleinwände
im Stadion überträgt, über die Nebel- und Lichtkanonen bis
hin zum speziellen Bodenbelag für Jacksons "Moon walk". Den
fegt ein Spezialist zum guten Abschluss noch einmal mit dem
Besen rein. Was sein muss, muss sein.
Die Stimmung
steigt. Das Stadion ist restlos ausverkauft. Dann erwartungsvolle
Stille als unvermittelt vier bullige schwarze Bodyguards Jacksons
den Frontstage-Bereich der Erste-Hilfe-Ordner betreten. Die
Fans kennen die Zeichen der Rituale. Ein kurzer, prüfender
Blick. Es ist
20.51 Uhr im Müngersdorfer Stadion. In einem infernalischen
Bass-Gewitter fährt langsam über die gesamte 63,50 Meter-Bühne
eine Wand aus Scheinwerfern hoch, Nebelkanonen verbreiten
einen unheilschwangeren undurchsichtigen Dunst, die "Wand"
senkt sich wieder langsam ab auf Bühnenbodenniveau und gibt
dem Blick der orgiastisch aufschreienden Fans fünf Tänzer
im Street-Gang-Kostüm preis.
Der in der Mitte
trägt eine schwarze Lederkombination bedeckt mit Nieten, Schnallen
und Reißverschlüssen. Die Band setzt ein mit einem hämmernden
Funk. Michael Jackson beginnt den zweistündigen Auftritt mit
"Wanna be startin' something". Ein perfektes Timing, bei dem
Licht, Musik, Choreographie exakt auf den kleinen Superstar
ausgerichtet sind.
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Michael
Jackson "Wanna be starting something" Live 1987 -
BAD Tour |
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(YouTube) |
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Nach wenigen
Minuten erstarrt der perfekte Tanz zu einem Living-Doll-Bild.
Ansatzlos wird der Rhythmus fortgeführt, ein auf Sekundenbruchteile
berechneter Auf- und Abbau von Bewegungsabläufen, Spannungsbögen,
der von den wie magnetisiert wirkenden Fans ekstatisch bejubelt
wird. ‚This is America und nicht das Deutsche Fernsehballett',
denkt vermutlich Oma Hedwig. "Another
Part of me", "I just can't Stop loving you", "Pretty young
thing" - alles dramaturgisch auf den Punkt gebracht. Alles
in allem bleibt die Stimmung im ersten Teil des Konzerts nach
der Anfangseuphorie doch erstaunlich gelassen.
Natürlich werden
weiterhin reihenweise die zusammenklappenden Fans aus dem
vorderen Bühnenraum gerettet, doch auf den Rängen ist kaum
etwas von der Begeisterung hier, in Aura-Nähe Jacksons, zu
spüren. Dazu lenkt viele die Video-Wand vom Stage-Spektakel
ab. Ein Hin- und Herblinzeln: enweder der Star in echt - zehn
bis hundert Meter entfernt - oder en Detail live per Video.
Natürlich ist
die Perfektion eines Video-Clips auch für einen Perfektionisten
wie Jackson auf der Bühne nicht erreichbar. Doch das macht
Profi "Jacko" durch seine Präsenz in "Beat it" und "Billie
Jean" - den ersten beiden Stücken des zweiten Teils locker
wieder wett. Zudem bietet er weiter Spektakel, Spektakel.
Mit mehreren Kostümwechseln, einmal zudem über der Menge auf
einem ausfahrbaren Kran, singt er seine bekanntesten Songs
aus "Thriller", dem meistverkauften Vinyl-Tonträger der Musikgeschichte.
Letztes Stück
des Auftritts dann "Bad". Jackson, dem man zumal bei "Billie
Jean" auch die Freude an der eigenen Show anmerkte, der gelöst
wirkte, wo er zu Beginn des Konzertes merkwürdig klein und
einsam aussah, verpasst fast den Einsatz. Er rennt zurück
auf die Bühne, man sieht ihm die Erschöpfung an. Und dann
gibt er den "Moon walk" - die legendäre Tanzeinlage, eine
Mischung aus chaplinhaftem Slapstick und Steptanz a la Fred
Astaire. Das wieder mögen die Fans. It's entertainment!
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Lichtwesen |
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Es ist 22.50
Uhr, als Michaal J. die letzte Zugabe "Man in the mirror"
beginnt. Ein gefühlvolles, sagen wir auch ruhig kitschiges
Stück. "Wenn Du die Welt veränden willst, beginne mit Dir
selbst" heißt eine Textzeile - und der kleine Riese auf der
riesigen Bühne macht die Metamorphose gleich selber durch.
Dreht eine achtfache Pirouette, erstarrt mit ausgebreiteten
Armen, den Kopf in einen gleißenden Lichtkegel gerichtet.
Die Bühne ist leer und schwarz wie die Nacht bis auf diesen
kleinen Punkt, das Wunderkerzenmeer schon erloschen. Jackson,
allein, leblos, ein Träumer, der den 70.000 erscheinen muss
wie ein Wesen von einem anderen Stern. Dann verlöscht der
letzte Spot.
Auf dem Fußmarsch
Richtung heimwärts, vorbei an den endlosen Autoschlangen und
den überfüllten Sonderzügen der KVB, bieten geschäftstüchtige
Händler Souvenirs an: Michael Jackson, Plakat, Europatournee,
gesponsort von Pepsi-Cola. Das Stück fünf Mark. Unterdessen
zieht Friedhelm Monke, Einsatzleiter des DRK, Bilanz: "Es
war ein friedlicher Abend. Fast keine Verletzten, nur Kreislaufzusammenbrüche.
400 Personen mussten behandelt werden, 80 ins Krankenhaus."
Dabei sieht er ein bisschen nachdenklich aus.
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