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Michael Jackson - Wanna be starting something - Live  1987 - YouTube
// BAD
EMDER ZEITUNG - 1988

Was haben sie nicht schon alles über ihn geschrieben: Er hat einen Altar für Liz Taylor in seiner 40-Zimmer-Luxusvilla in Kalifornien, sein Schimpanse Bubbles läuft am liebsten in Designerklamotten rund ums Sauerstoffzelt, seine neurotische Angst vor Bakterien und Viren lässt ihn nur mit Mundschutz leben. Er unterzog sich drei Schönheitsoperationen um nicht mehr der "Bad" Black-Boy zu sein . . .

Die 70.000, die sich mit Feldstechern, Klappstühlen und Kühlboxen auf den Weg ins Müngersdorfer Stadion in Köln, der dritten Station der Stippvisite in der Bundesrepublik, gemacht haben, interessiert das alles herzlich wenig: Michael Jackson live, ob er nun in Wirklichkeit seine Schwester ist oder nicht. Er wird da sein. Fleischgeworden.

"Das Schlimmste was uns passieren kann, ist natürlich eine Panik, aber das hängt auch sehr von Jackson ab," urteilt Eckhardt Otte (25) Juniorchef des Wachdiensts, der seine 40 Leute bei den Personen- und Einlasskontrollen im Einsatz hat, mit Blick auf die anbrandende Menge. Nein, mit randalierenden alkoholisierten Fans sei nicht so sehr zu rechnen, aber: "Video und Super-Acht-Kameras, da haben wir ein Augen drauf." Der Himmel über dem mit Holzbohlen und einer Plastikfolie geschützten Rasen der FC Köln-Kicker ist bedeckt, an die 20 Grad Außentemperatur, und im Innenraum wie auf den Rängen ist drei Stunden vor dem Set noch nicht mehr als die Hälfte der Plätze besetzt.

A
ls der schwarzgelockte Äthiopier Ezana (16), Gymnasiast aus Köln, im mit Pailletten besetzten schwarzen Anzug, die staksigen Beine in weißen Socken, die Augen hinter der dunklen Sonnenbrille versteckt, sich der heißen Zone direkt vor der Bühne nähert, blicken die Teenies einen Moment lang irritiert. "Natürlich ist das auch ein Abglanz von Michael, der auf mich fällt", grinst das Double, "ich finde aber, das Wichtigste ist seine Musik". Und dann meint er noch, während "Bodyguard" Amir prüfende Blicke auf die Teenies wirft : "Wenn er allerdings wirklich versuchen würde, wie ein Weißer zu sein, wäre das ein Verrat."

Die zwei tauchen unter im Gewühl Front-Stage, wo die Ordner schon alle Hände voll zu tun haben. Reihenweise fallen die Fans, Durchschnittsalter um die 16, in Ohnmacht. "Der Druck, als wir heute hier anfingen, war so stark, das wir fast selbst zerquetscht worden wären", brüllt einer der 200 Securities unmittelbar vor der Bühne dem Reporter nur noch entgegen.
"Gefühl, zu sterben"

"Das ist unmenschlich, du hat das Gefühl, jeden Moment zu sterben. Die Mädchen liegen am Boden, ohnmächtig, ich habe versucht, zusammen mit meinen Freunden so gut es geht zu helfen, und dann habe ich es selbst nicht mehr geschafft". Simah, 22 Jahre alter Dekorateur aus Düsseldorf, verlässt gerade wieder den schmalen Durchlass an der Bühnenseite, Ausgang für die von den Ordnern mit festem Griff aus dem Gewühl auf die Bühne gefischten Fans. Er ist seit dem frühen Morgen in Köln, um sich auf dem Schwarzmarkt eine Karte für den Innenraum zu sichern. "Ich habe 80 Mark für die 50 Mark-Karte bezahlt, aber das Konzert gucke ich mir jetzt aus irgendeiner Ecke an".

Es ist 19 Uhr, und auf den Rängen läuft die seit der Fußball-WM in Mexiko bekannte "La Ola". Für die hartgesottenen Jackson-Fans ein faszinierendes Spektakel aus einer anderen Welt, das begeistert beklatscht wird. "Wir haben früher doch auch unsere Stars gehabt", meint derweil Hedwig Becker grinsend. Die 61-Jährige aus Kleve steht in respektvollem Abstand zur Kreislauf- und Ohnmachts-Front. Prince, Rolling Stones, Tina Turner und jetzt Michael Jackson: "Meine Freundinnen beneiden mich, dass ich dazu den Mut habe", erklärt sie selbstbewusst. Ich finde das ganze drumherum bei Jackson gut. Aber ich glaube, er ist irgendwie ein Mensch, der Angst hat erwachsen zu werden. Er wirkt auf mich wie ein ewig Pubertierender."

Master of Ceremonies

Noch eine Stunde, bis der 29-Jährige Jackson auch für Oma Hedwig singen wird, da kommt Bewegung in die Fans direkt vor der Bühne. "Jacko"-Manager Frank M. Dileo, die gewohnte Havanna im Mund, die langen Haare zum modischen Zopf zurückgebunden, begrüßt huldvoll die Wartenden. Master of Ceremonies! "La Ola" rollt weiter über die Ränge, und vor der Bühne nimmt die allgemeine Temperatur durch die Enge allmählich tropische Ausmaße an.

15 Minuten später klettern die Beleuchter und Tontechniker auf den 20 Meter hohen Turm im Innenraum mit Sound-Mischpult und den fünf zusätzlichen Verfolger-Lichtkanonen. An der Vorderseite des Towers hängt ein Transparent. In großen schwarzen Lettern: "Köln". Damit Raumfahrer Jackson weiß, wo er gerade gelandet ist.

"Michael Jackson ist das Perfekteste, was die Konsumgesellschaft bisher hervorgebracht hat, und genau diese Perfektion will ich sehen", konstatiert cool Raffael, 16-Jähriger Herausgeber eines kleinen Szene-Magazins aus Moers. Was er meint, wird nach dem pflichtschuldig vorgetragenen Vorprogramm von Frau Kim Wilde deutlich: Das Jackson-Roadie-Team baut um. In knapp 25 Minuten. Da sitzt jeder Handgriff. Man sollte es aber eher eine Bühneneinrichtung nennen: Angefangen von der fahrbaren Kamera, die den Auftritt auf die drei Video-Großleinwände im Stadion überträgt, über die Nebel- und Lichtkanonen bis hin zum speziellen Bodenbelag für Jacksons "Moon walk". Den fegt ein Spezialist zum guten Abschluss noch einmal mit dem Besen rein. Was sein muss, muss sein.

Die Stimmung steigt. Das Stadion ist restlos ausverkauft. Dann erwartungsvolle Stille als unvermittelt vier bullige schwarze Bodyguards Jacksons den Frontstage-Bereich der Erste-Hilfe-Ordner betreten. Die Fans kennen die Zeichen der Rituale. Ein kurzer, prüfender Blick. Es ist 20.51 Uhr im Müngersdorfer Stadion. In einem infernalischen Bass-Gewitter fährt langsam über die gesamte 63,50 Meter-Bühne eine Wand aus Scheinwerfern hoch, Nebelkanonen verbreiten einen unheilschwangeren undurchsichtigen Dunst, die "Wand" senkt sich wieder langsam ab auf Bühnenbodenniveau und gibt dem Blick der orgiastisch aufschreienden Fans fünf Tänzer im Street-Gang-Kostüm preis.

Der in der Mitte trägt eine schwarze Lederkombination bedeckt mit Nieten, Schnallen und Reißverschlüssen. Die Band setzt ein mit einem hämmernden Funk. Michael Jackson beginnt den zweistündigen Auftritt mit "Wanna be startin' something". Ein perfektes Timing, bei dem Licht, Musik, Choreographie exakt auf den kleinen Superstar ausgerichtet sind.

| Michael Jackson "Wanna be starting something" Live 1987 - BAD Tour
(YouTube)

Nach wenigen Minuten erstarrt der perfekte Tanz zu einem Living-Doll-Bild. Ansatzlos wird der Rhythmus fortgeführt, ein auf Sekundenbruchteile berechneter Auf- und Abbau von Bewegungsabläufen, Spannungsbögen, der von den wie magnetisiert wirkenden Fans ekstatisch bejubelt wird. ‚This is America und nicht das Deutsche Fernsehballett', denkt vermutlich Oma Hedwig. "Another Part of me", "I just can't Stop loving you", "Pretty young thing" - alles dramaturgisch auf den Punkt gebracht. Alles in allem bleibt die Stimmung im ersten Teil des Konzerts nach der Anfangseuphorie doch erstaunlich gelassen.

Natürlich werden weiterhin reihenweise die zusammenklappenden Fans aus dem vorderen Bühnenraum gerettet, doch auf den Rängen ist kaum etwas von der Begeisterung hier, in Aura-Nähe Jacksons, zu spüren. Dazu lenkt viele die Video-Wand vom Stage-Spektakel ab. Ein Hin- und Herblinzeln: enweder der Star in echt - zehn bis hundert Meter entfernt - oder en Detail live per Video.

Natürlich ist die Perfektion eines Video-Clips auch für einen Perfektionisten wie Jackson auf der Bühne nicht erreichbar. Doch das macht Profi "Jacko" durch seine Präsenz in "Beat it" und "Billie Jean" - den ersten beiden Stücken des zweiten Teils locker wieder wett. Zudem bietet er weiter Spektakel, Spektakel. Mit mehreren Kostümwechseln, einmal zudem über der Menge auf einem ausfahrbaren Kran, singt er seine bekanntesten Songs aus "Thriller", dem meistverkauften Vinyl-Tonträger der Musikgeschichte.

Letztes Stück des Auftritts dann "Bad". Jackson, dem man zumal bei "Billie Jean" auch die Freude an der eigenen Show anmerkte, der gelöst wirkte, wo er zu Beginn des Konzertes merkwürdig klein und einsam aussah, verpasst fast den Einsatz. Er rennt zurück auf die Bühne, man sieht ihm die Erschöpfung an. Und dann gibt er den "Moon walk" - die legendäre Tanzeinlage, eine Mischung aus chaplinhaftem Slapstick und Steptanz a la Fred Astaire. Das wieder mögen die Fans. It's entertainment!

Lichtwesen

Es ist 22.50 Uhr, als Michaal J. die letzte Zugabe "Man in the mirror" beginnt. Ein gefühlvolles, sagen wir auch ruhig kitschiges Stück. "Wenn Du die Welt veränden willst, beginne mit Dir selbst" heißt eine Textzeile - und der kleine Riese auf der riesigen Bühne macht die Metamorphose gleich selber durch. Dreht eine achtfache Pirouette, erstarrt mit ausgebreiteten Armen, den Kopf in einen gleißenden Lichtkegel gerichtet. Die Bühne ist leer und schwarz wie die Nacht bis auf diesen kleinen Punkt, das Wunderkerzenmeer schon erloschen. Jackson, allein, leblos, ein Träumer, der den 70.000 erscheinen muss wie ein Wesen von einem anderen Stern. Dann verlöscht der letzte Spot.

Auf dem Fußmarsch Richtung heimwärts, vorbei an den endlosen Autoschlangen und den überfüllten Sonderzügen der KVB, bieten geschäftstüchtige Händler Souvenirs an: Michael Jackson, Plakat, Europatournee, gesponsort von Pepsi-Cola. Das Stück fünf Mark. Unterdessen zieht Friedhelm Monke, Einsatzleiter des DRK, Bilanz: "Es war ein friedlicher Abend. Fast keine Verletzten, nur Kreislaufzusammenbrüche. 400 Personen mussten behandelt werden, 80 ins Krankenhaus." Dabei sieht er ein bisschen nachdenklich aus.

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